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18.08. bis 22.08.2019 - 19e Paris-Brest-Paris - 1001 Wellen nach Rambouillet*

Ich habe mich lange gefragt, was in dieser Woche Frankreich im August passiert ist und habe bis heute nicht zu einer einfachen Antwort gefunden. Einerseits haben Sabine und ich die für uns bis dahin größte sportliche Herausforderung großartig gemeistert. Andererseits kann ich das Wie immer noch nicht richtig fassen. Nach 1219 Kilometern und 94:19:25h waren wir zurück in der Bergerie Nationale in Rambouillet. Unsere Kräfte reichten für einen kurzen Moment des Glücks. Dann gingen wir schon wieder den Notwendigkeiten nach: Essen; Rad und Krams im Auto verstauen und aus den vier Tage lang getragenen Klamotten raus und ab ins Hotel. Es dauerte noch ein, zwei Stündchen und dann überwältigte uns der so dringend benötigte Schlaf.

Fünf Tage zuvor sind wir am Samstag vormittag im strömenden Regen die 22km von unserem Hotel nach Rambouillet zum Fahrradcheck und der Registrierung geradelt. Unsere Strecke führte unschön entlang der Route Nationale 10. Fortwährend bogen Radfahrer aus den Seitenstraßen ein und es ergab sich eine Art Prozession der internationalen Randonneure.

An diesem Vortag des großen Ereignisses waren alle in freudiger Erregung und wir führten hier und im Hotel viele Gespräche mit dem internationalen Starterfeld... Inder, Thailänder, Italiener, Franzosen, Amerikaner, Brasilianer... Nicht umsonst wird Paris-Brest-Paris die Olympiade der Randonneure genannt. Und wir waren dabei, nach letztlich zwei Jahren ernsthaften Trainings der Langstrecke - unglaublich!



Am Sonntag abend um 18:45 sind wir in dieses epische Abenteuer gestartet. Es gab eine gut durchdachte Zeittabelle, die es uns ermöglichen sollte, die Strecke mit den notwendigen Pausen in unter 90h zu bewältigen und den Brevet (die Prüfung) somit vom Audax Club de Paris, dem Dachverein aller Randonneure homologisiert, als bestanden, anerkannt zu bekommen.

Dabei half die Unterteilung in 15 Etappen. An 13 mussten wir unsere Brevetkarte zusätzlich zum Tracker stempeln lassen. Genauso wichtig war, dass an den 15 Stationen Essen, ein Fahrradmechaiker, Schlafmöglichkeiten und medizinische Betreuung bereit standen. Von den letzten zwei Möglichkeiten haben wir nicht Gerauch gemacht.

Mortagne-aux-Perche - Villaines-la-Juhel- Fougeres - Tinteniac - Quedilliac - Loudeac - St.Nicolas-du-Pelem - Carhaix-Plouguer - Brest waren die Landmarken der Hinfahrt.

 

Höhenprofil Hinweg


Die erste Etappe spulten wir dann recht locker ab. Irritierend war nur der Fahrstil der asiatischen Randonneure, orientierten sie sich doch zumeist an der Mittellinie, was das Überholen zu einem Ritt auf der Gegenfahrbahn machte. Auch wurde sich insgesamt recht wenig an die internationalen Regeln im Radsport gehalten. Das sorglose Treiben der Fahrer führte für Klaus mehrmals an Steigungen zu brenzligen Situationen. Bei K100 drängte ihn ein Fahrer so ab, dass er gegen eine Mauer knallte und sich eine Prellung zuzog. Gott sei Dank konnte er weiter fahren. Spätestens ab hier war er jedoch auch recht genervt von der Rücksichtslosigkeit einiger Randonneure. Erst viel später verstand er, dass die Mittenfahrer oft Japaner waren. Einer der an ihren Leuchtwesten gut zu identifizierenden Radler wich dem Gegenverkehr von der Mittellinie nach Links aus und landete im Straßengraben, als das Auto natürlich imner weiter auf ihn zuhielt. In Japan herrscht Linksverkehr. Der Gute überstand alles unversehrt und Klaus wies die Asiaten dann mit einem kräftigen "Drive right" auf europäsche Gepflogenheiten hin. Zur Antwort erhielt er immer ein freundliches "Oh sorry" und der Randonneur gab die Straße frei.



Nach der ersten Etappe wurde aus dem vorhergesagten welligen Profil ein mit Rampen durchsetztes, was die Pace reduzierte. So schrumpfte das anfängliche Zeitguthaben mehr und mehr. Die dringend benötigte Schlafpause geriet in Gefahr...
Ab einem Powernapp unter den Tischen in Loudeac bei K445 war klar das unser Plan nicht mehr zu halten war und wir an einer der nächsten Kontrollen aus den offiziellen Zeitfenstern unserer Startgruppe fallen würden. Unverdrossen machten wir uns auf den Weg über Carhaix-Plouguer und den höchsten Punkt unserer Tour, den traumhaften Roc Trevezel nach Brest. Brest bei K610 war der Wendepunkt und wir feierten ihn mit dem unvermeitlichen Brückenfoto kurz vor der Stadt. Der Strand und der Atlantik war uns nur einen kurzen Blick wert. Wichtiger war nach einer ätzenden Stadtdurchfahrt das Innehalten in der Kontrolle und die Bestandsaufnahme unserer Situation.



Der so schöne Plan war Makulatur, wir waren mindestens die 3h Schlaf, die wir immer noch nicht hatten, zu spät dran. Wir waren auf diese Situation nicht vorbereitet. Wenn wir die folgenden 600km genauso schnell wie den Hinweg fahren könnten, dann wären die 90h knapp drin. Klaus hatte optional auch schonmal die Zugverbindungen nach Paris ermittelt. Wir überlegten ob wir als zu spät Kommende die Kontrollen noch nutzen durften. Als wir, Dank Sabines Beharrlichkeit, die Gedanken soweit sortiert hatten und es klar war, das wir nicht 600K sondern weiterhin überschaubare Etappen von 80K mit Verpflegung usw. vor uns hatten, machten wir uns auch schon wieder los. Aus Brest haben wir uns das einzige Mal nicht bei unseren Followern gemeldet. Sie waren jedoch über den Tracker informiert.

Der neue Plan war, zu versuchen, das Ding zuende zu fahren, wenn möglich im Zeitlimit, aber wichtiger war im eigenen Tempo, was dann auch mal die Einkehr in einem Bistro/Brasserie am Wegesrand oder den Besuch einer Patisserie mit der in Frankreich immer traumhaften Auswahl an Gebäck bedeutete.



So markierten die Orte nun in umgekehrter Reihenfolge unseren Weg: Carhaix-Plouguer - St.Nicolas-du-Pelem - Loudeac - Quedilliac - Tinteniac - Fougeres - Villaines-la-Juhel - Mortagne-aux-Perche - Dreux und Rambouillet.

Höhenprofil Rückweg

Der Roc Trevezel, den wir nun von Meereshöhe in einem Rutsch nach einem wunderbaren Kaffee in Sizun erklommen, erwies sich hier als gut zu fahrender Anstieg. Wie schon vielmals zuvor und danach, kam Sabine mit konzentriertem Blick nur wenige Sekunden nach Klaus am Scheitelpunkt an. Jetzt hatten wir die Zeit für ein gemeinsames Gipfelfoto.

 


In St.Nicolas-du-Pelem bei K738 fielen wir erstmals mit 15min aus dem Zeitfenster. Nach einem wenig erholsamen Schlafversuch, wollten wir nunmehr das Schlafbedürfnis mit 30 bis 45 minütigen Powernaps befriedigen. Mal sehen wie lange das geht...

Die Orte, laut Veranstalter 178, ergaben für uns ein Band von Zwischenzielen. Es ging wieder durch meist unspektkuläre Landschaften und kleine Dörfer und Städtchen des ländliches Frankreich. Wenige Orte fielen durch ihre steinerne mittelaltetliche Schönheit auf, waren für uns jedoch nur Punkte auf unserem Weg, deren Namen im Gedächtnis verschammen. Wir waren Teil eines meist schweigenden Zuges Richtung Osten, wunderschönen Sonnenaufängen entgegen. Die Gruppen, wie auch jeder Einzelne waren, wie in einem Kokon eingesponnen, damit beauftragt, diese Reise zu einem guten Ende zu bringen. Geredet wurde nur sehr wenig. In der Nacht bildete das Band der Rücklichter einen roten Lindwurm, der am Scheitelpunkt des Anstiges wieder den nächsten Anstieg markierte. Nach kurzer rasanter Abfahrt und vielleicht ein, zwei flacheren Wellen arbeiteten wir diesen dann stoisch ab. Wir können uns nur an zwei flachere Passagen von je 1 bis 2 Stunden erinnern, wo lockeres, entspanntes und druckvolles Windschattenfahren möglich war.



So arbeiteten wir uns immer weiter nach Rambouillet vor, sahen in den Kontrollen die immer gleichen Gesichter, hatten mit Frank in der letzten Nacht einen treuen Begleiter, der uns mit den Toten Hosen und Ramstein aus den Handyboxen bei Laune hielt. Am nächsten Tag trennten sich unsere Wege. Wir trafen ihn im Ziel wieder, leer wie wir und er unglücklich über die Zeit von über 90h. Wir konnten ihn überreden die Medallie doch noch abzuholen. Für uns spielten solche Überlegungen keine Rolle mehr, hatten wir doch unsere verrückte Mission erfolgreich beendet. Die Medaille wurde uns nach Erledigung der Formalien - Stempel und Unterschrift ins Brevetheft - würdevoll von einer älteren Dame umgehangen indem sie für diesen Akt aufstand und uns feierlich beglückwünschte - mir kommen gerade fast die Tränen, als ich dies schreibe.

Überhaupt, die vielen, vielen freiwilligen Helfer die uns Tag und Nacht immer freundlich bewirteten und mit einem Lächeln begrüßten. Die in den Restaurants in den Kontrollen stets ein Dreigängemenue bereit hielten. Zur Auswahl fünf Vorspeisen, drei Hauptspeisen und diverse Desserts. Dazu hätte man Rotwein trinken können. Mich rettete nach 1,5 Tagen die warme Kartoffelsuppe, die man in den Bars für die Eiligen reichte, als ich keinen Süßkram und auch keine Nudeln mehr sehen konnte. Auf dem Rückweg verzehrte selbst Sabine, die sonst mit wenig auskommt, in den Kontrollen große Mahlzeiten. Nicht verwunderlich, liegt doch der Kalorienbedarf bei diesem Unterfangen um die 30 000kcal.



Zurück zu den 2500 Freiwilligen. Die, die Tablets von den Tischen räumten, dabei umsichtig um die Schlafenden und Ermatteten gehend, die ausgefallene Klospülungen mit einem roten Wassereimer nach jeder Benutzung ersetzten, die beim Ausgang der Fahrradparkplätze ausdauernd die Nummern der Armbändchen mit den Rahmennummern verglichen. Die uns mit lieben Worten immer wieder aufbauten. Die uns mit ihrem Engagement diese Erfahrung überhaupt erst ermöglichten - merci beaucoup!!!

Und dann noch die vielen Zuschauer am Wegesrand, die uns mit fröhlichen "Bravo", "Bonne Route", "Bonne Courage" und immer wieder "Allez, Allez" anfeuerten. Die Campingtische vor ihren Häusern oder auch am Feldrand aufbauten und Wasser, Kaffee und so manchen Snack anboten. Die Menschen die ihre Garage oder gar ihr Haus zu Ruheplätzen für Randonneure umfunktionierten und uns gegen Gebühr eines Lächelns bewirteten. Merci beaucoup!!!

Begleitet wurden wir von den am Wegesrand Schlafenden, die, in silber- oder goldglänzenden Rettungsdecken als Schutz gegen die nächtliche Kälte gehüllt, ruhten. Gegen Ende gesellten auch wir uns dazu. Einmal musste Klaus in der letzten Nacht irgendwo im Dunkeln an einer Hauswand gelehnt für 10min die Augen schließen. Dann legte sich Sabine am heißen Mittag auf dem Weg nach Dreux für ein paar Minuten ins Gras in den Schatten. An den Kontrollen alle 80km gönnten wir uns auf der Rückfahrt Powernaps von 30 bis 45 min, um danach mit neuer Energie weiter zu fahren. Vorher hätte ich es für unmöglich gehalten, so 600km weiter zu reisen. Als Team in den letzten zwei Jahren perfekt zusammengewachsen, bedurfte es für Absprachen nur weniger Worte. Wir folgten unserem Rhythmus und nichts hielt uns auf!



Die schier unglaubliche Strecke und der Mangel an Schlaf verschoben den Blickwinkel immer weiter weg von einer sportlichen Betrachtung. Wir waren Teil eines fast mythischen Erlebnisses das für das Leben stehen könnte: weiter, weiter, in kleinen Schritten immer weiter!



Es hat, auch berufsbedingt, ein paar Tage gedauert, bis sich bei mir das innere Lächeln einstellte. So richtig angekommen war ich erst, als ich am Samstag eine Woche danach das offizielle PBP-Trikot mit Stolz anzog und zu einer kleinen Trainingsrunde auf das Rennrad stieg. Unglaublich was wir in diesen Tagen in Frankreich geleistet haben. Merci beaucoup, Sabine!!! Et bonne route! Et bonne Courage! Allez, Allez!

 

* Die „1001 Wellen nach Rambouillet“ sollen laut Internetquellen nur 385 Anstiege sein. Da wir sie nicht mitgezählt haben, können wir das nicht widerlegen. In unserem Erleben waren es 1001...

Hier die Vorgeschichte

Text: Klaus Bentele
Fotos: Sabine Hanke und Klaus Bentele